Es war ein … nun ja, ein kalter Wind wehte über die Wiese und über Nacht hatte der Frost sich wieder an den Gräsern festgesetzt … aber laut Kalender zumindest, laut Kalender war es ein Frühlingstag. Zitternd, hatten sich die kleine Schildkröte und der Bär vor den eisigen Windböen im Gebüsch versteckt und beobachteten die Zweige über ihnen, wie sie sich im Wind bogen.
Das Herz der kleinen Schildkröte war schwer. Sie fühlte sich seit einiger Zeit so einsam, denn sie konnte ihre Freunde nicht sehen. Sie durfte, so die Mama und der Papa Schildkröte, bis zum Gartenzaun und bis zum Haus zurück. Aber hinaus aus dem Garten und in die Schildkröten-Schule, da durfte die kleine Schildkröte nicht. Die Schildkröten-Eltern hatten ihr oft erklärt warum. Aber so ganz verstand sie es immer noch nicht. Sie wusste nur eines: ihre Freunde fehlten ihr unglaublich! Und langsam aber sicher, da wurde es im Garten ziemlich langweilig.
„Ach Bär,“ seufzte die kleine Schildkröte. „Warum sind wir auf dieser großen Welt so alleine und verloren?“ Der Bär brummte. „Was meinst du denn damit, liebe Schildkröte?“ „Naja,“ antwortete die Schildkröte. „Ich bin hier und auch wieder doch nicht. Jeden Tag spaziere ich entlang des Gartenzauns, beobachte die Käfer und die Blumen, nehme wahr, wie die Knospen jeden Tag ein Stückchen mehr aufblühen, aber ich kann diese Erfahrung mit niemandem teilen. Ich bin allein hier, hinter dem Gartenzaun. Niemand sieht mich und ich sehe auch niemanden. Und die schönen Blumen hier, die jeden Tag aufblühen, und die lustigen Käfer, die sehe nur ich allein. Früher einmal, da hätte ich meinen Freunden in der Tier-Schule davon erzählt. Und sie hätten mir auch erzählt, was in ihren Gärten so passiert. Aber jetzt? Jetzt sitzen wir alle ganz alleine hinter unseren Gartenzäunen. Die Welt ist unendlich groß und doch so klein. Wie kann ich mich nur über diese kleine Welt freuen, wenn ich sie mit niemandem da draußen in der großen Welt teilen kann?“
Der Bär wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. Der Wind brauste in den Ästen. Vor lauter Kälte beutelten sich die Schildkröte und der Bär, also legte der Bär der kleinen Schildkröte eine wärmende Tatze über den Panzer. „Hmmmmmm,“ brummte er. „Also weißt du? Ich glaube nicht, dass wir ganz getrennt sind von der Welt da draußen, von der Welt außerhalb des Gartenzauns!“ „Warum nicht?“ fragte die Schildkröte. „Hmmmm,“ brummte der Bär wieder. „Naja, weil schau doch einmal in den Himmel. Fällt dir was auf?“ „Nein, was denn?“ jammerte die Schildkröte. „Najaaaa,“ brummte der Bär. „Also der Himmel, der ist über unserem Garten. Aber er ist auch außerhalb. Er geht unendlich weit, von links nach rechts und von unten bis oben. Das heißt also, der Himmel geht auch bis zu den anderen Gärten hin.“ Die Schildkröte wiegte nachdenklich den Kopf. „Stimmt,“ murmelte sie. „Aaaaalsoooo,“ brummte der Bär. „Wenn der Himmel von unserem Garten bis in andere Gärten und unendlich viele Gärten reicht, dann gibt es ja auch eine Verbindung von unserem Garten bis in die Gärten von unseren Freunden. Und wenn man die Himmelsroute nimmt, dann sind wir ja eigentlich gar nicht mehr voneinander getrennt, oder?“ Die Schildkröte lächelte: „Ohja!“ Der Bär nickte und fuhr fort: „Deshalb kannst du ja auch gar nicht wissen, ob die anderen Tierkinder nicht spüren können, welche Gedanken du ihnen schicken willst. Denn wenn du deine Gedanken und Bilder und Gefühle mit den Wolken dort oben im Wind über das Himmelsdach mitschickst, dann werden sie irgendwann über den Gärten deiner Freunde schweben und deine Freunde werden die Wolken sehen und an dich denken!“ Die kleine Schildkröte lächelte noch mehr. „Oooohjaaaaa!“ rief sie begeistert.
Als die Sonne schließlich herauskam, war es auch nicht mehr so kalt. Also lagen der Bär und die kleine Schildkröte gemeinsam in der Wiese und beobachteten die Wolken am Himmel und schickten jeder einzelnen Wolke einen blumigen Gedanken für die anderen Tier-Kinder mit. Sie lachten und brummten und grunzten vor Freude. Und der kleine Garten, den sie nicht verlassen durften, war plötzlich gar nicht mehr so klein. Innerhalb des kleinen Gartens lagen plötzlich unendlich viele Möglichkeiten verborgen. Man musste nur den Blick in den Himmel richten und schon war die Welt unfassbar groß und wunderbar.